Wandern im Ahrntal: über Birnlückenhütte und Lausitzer Höhenweg zur Neugersdorfer Hütte

Tourdetails

gewandert am: 11.09.2021
Region: , ,
benötigt: gute Kondition, Trittsicherheit, Schwindelfreiheit, Wanderkarte

Startpunkt: Kasern
Ziel: Kasern
Entfernung: 27,7 km
höchster Punkt: 2547 m

Erreichbarkeit mit Öffis: nur Startpunkt

super
okay
dürftig
gar nicht

Schon fast lieb gewordene Tradition ist eine Solo-Wanderwoche in der Nachsaison. Diesmal zog mich nicht nur die Sehnsucht nach hohen Gipfeln (nur zum Anschauen) aus dem Haus, sondern auch Sehnsucht nach meiner Almfamilie. Im Sommer 2017 hatte ich 3 Monate auf 2100 Höhenmetern als Sennerin auf der Rötalm gelebt und jeden Tag das grandiose Bergpanorama unseres Hochtals bewundert. Im September packte ich meine 7 Sachen und besuchte erneut das Ahrntal in Südtirol, obwohl sich die Anreise mit Öffis  als langwierig gestaltet. Nördlich von Bruneck zweigt das Tauferer Ahrntal, das nördlichste und eines der urwüchsigsten Täler Südtirols, vom Pustertal ab. Das Ahrntal wird auf der einen Seite vom Zillertaler Hauptkamm und auf der anderen Seite von den Gipfeln der Ahrn- und Rieserfernergruppe überragt. Ein Wanderparadies! Aber Vorsicht, wer einmal hier war, kommt immer wieder…

Etappe: Kasern – Kehrer AlmLahneralm

Das Schöne im Tauferer Ahrntal ist, dass es nicht von Autos verstopft wird. Trotz der stetig wachsenden Ahrntal-Fangemeinde ist die Hauptverkehrsstrecke zwischen Bruneck und Kasern vergleichsweise ruhig und beschränkt sich weitestgehend auf den An- und Abreise- sowie Berufsverkehr. Gäste des Ahrntals und seiner Nachbartäler erhalten nämlich für die Dauer ihres Aufenthaltes einen kostenlosen Buspass, mit dem man alle Ortschaften und die meisten Wanderwege bequem erreichen kann. Und das im 30-Minuten-Takt. Genial!

Ich war früh munter und das Wetter herrlich. Perfekt, um zur recht großen Runde über ein Teilstück des Lausitzer Höhenwegs auszuholen. Zuerst einmal musste ich das Talende des Ahrntals erwandern und dann auf Höhe kommen. Ab Kasern, der letzten Ortschaft mit dem letzten Parkplatz und der ebenfalls letzten Bushaltestelle im Ahrntal, marschieren die meisten Wanderer den asphaltierten Weg entlang, um zu den Wanderwegen ins Windtal, zur Unteren und Oberen Tauernalm oder zur Birnlücke zu gelangen. Schöner und Gelenke schonender geht das auf dem parallel verlaufenden Kreuzweg, der an der malerischen Heilig Geist-Kapelle wieder auf den Talweg führt. Dieser folgt der Ahr, der das Tauferer Ahrntal seinen Namen verdankt,  entlang in stromaufwärts zum Talende und passiert nach wenigen Kilometern einen kleinen Teich mit Bank und später eine beachtliche Ansammlung Steintürmchen. Nach einer gefühlten Ewigkeit endet bei der Trinksteinbaude endlich auch der Asphalt und das Laufen in Richtung Talende wird deutlich angenehmer. Vor allem eine Wohltat für meine Füße, die zu diesem Zeitpunkt – von der Tour zur Rötalm und zur Lenkjöchlhütte am Vortag – bereits mehrfach verpflastert waren. Am Ende des gemächlich auf 1850 Höhenmeter angestiegenen Talweges angekommen, kann man auf der großen Terrasse der Kehrer Alm nochmal die Batterien für den Aufstieg zur Lahneralm aufladen.

Hinter der Kehrer Alm geht es nun steil bergauf bis in ein wunderschönes Hochtal, in das die rustikale Lahneralm hübsch eingebettet ist. Leider ist die Lahneralm im September nicht bewirtschaftet, da die Familie wegen der schulpflichtigen Kinder Ende August auf der Alm die Zelte abbricht. Trotzdem lohnt ein Zwischenstopp am Bach mit Blich auf die prachtvolle Dreiherrnspitze, dem mit 3499 m Höhe  höchsten Berg im Ahrntal. Die Dreiherrnspitze, auch Dreiherrenspitze genannt, befindet sich in der Venedigergruppe auf der Grenze zwischen Österreich und Italien. Die österreichische Seite gehört zum Nationalpark Hohe Tauern und die Südtiroler Seite ist im Naturpark Rieserferner-Ahrn unter Schutz gestellt. Passend zum Namen ist die Dreiherrnspitze nicht nur ein Dreiländereck –am Gipfel treffen die Bundesländer Salzburg und Tirol (Osttirol) sowie die Autonome Provinz Bozen – Südtirol aufeinander –, sondern auch ein Wasserscheidepunkt. Von ihren Gletschern fließt das Wasser in drei verschiedene Flusssysteme: Nach Norden über die Salzach zum Inn, nach Südosten über die Isel zur Drau und nach Westen über Ahr und Rienz zur Etsch.

Etappe: Lahneralm – Birnlückenhütte

Nach der kurzen Verschnaufpause und einer Portion von zwei jungen Männern geschnorrter Sonnencreme, machte ich mich am Ende des kurzen Hochtals an den Aufstieg zur Birnlückenhütte. Vllt. hätte ich mir das Ganze zuvor nicht mit dem Fernglas anschauen sollen… Der Pfad schraubt sich in endlosen Serpentinen, auf denen ich mächtig ins Schnaufen kam und von vielen wesentlich fitteren Wanderern überholt wurde, steil hinauf. Alle paar Schritte musste ich stehen bleiben und verschnaufen und kam gefühlt nur im Schneckentempo voran. Bei einer dieser Zwangspausen hörte ich vertrauten Dialekt und kam mit einer sehr sympathischen Frau, die für den restlichen Tag meine Wanderpartnerin werden sollte, ins Gespräch. Soweit man sich kurzatmig einen steilen Hang hinauf keuchend halt unterhalten kann…

G. war in Brandenburg aufgewachsen, weshalb mich ihr Dialekt aufhorchen ließ, und Ansporn, die letzten Serpentinen bis zur Birnlückenhütte, an ihr dran zu bleiben. Ihre Familie kommt in wechselnder Besetzung (diesmal mit Freunden der Kinder) ins Ahrntal und kennt sich gut aus. Als G. erwähnte, dass nach einer Rast auf der Birnlückenhütte auch der Lausitzer Höhenweg bis zur Krimmler-Tauern-Hütte (Neugersdorfer Hütte) auf dem Plan steht, fasste ich mir ein Herz und fragte, ob ich mich anschließen dürfe. Mit dem Lausitzer Höhenweg hatte ich geliebäugelt, seit ich während meiner Almzeit zum ersten Mal davon hörte. G. und ich hatten in etwa das gleiche Wandertempo, während der Rest ihrer Familie deutlich sportlicher unterwegs war. Die jungen Leute haben es doch tatsächlich geschafft, auch noch die zusätzlichen Höhenmeter zur Birnlücke und zum Krimmler-Tauern-Pass mal eben zurückzulegen. Wir waren beide über das sich anbahnende Wander-Duett erfreut, denn weder G. noch ich hätten uns die Etappe auf dem ausgesetzten Lausitzer Höhenweg alleine zugetraut. Außerdem hatte ich meinem Herrn Schatz das Versprechen gegeben, gefährliche Passagen nicht alleine in Angriff zu nehmen.

Endlich oben an der Birnlückenhütte (Rifugio Brigata Tridentina bzw. Rifugio Forcella del Picco) angekommen, war ich voller ahs und ohs angesichts der nun in Majestät vor uns liegenden Grand Dame des Ahrntals. Bei Pasta (Ich hätte wie G. und ihre Familie lieber die Kartoffelpfanne mit Ei und Speck nehmen sollen, weil die Nudeln zwar völlig in Ordnung waren, aber mein Magen sich während der ersten Wandertage recht zickig gab) und einem Glas Belohnungswein genoss ich den berauschenden Zustand von Glück, es schon mal bis hierhin geschafft zu haben und weil der Anblick von Dreiherrnspitze und Nachbargipfeln vor tiefblauem Himmel einfach überwältigend schön war. Außerdem war ich voller Vorfreude auf die kommende Etappe.

Die Birnlückenhütte wurde 1900 von einem Gastwirt der Region als dreistöckige Hütte errichtet und – mit Ausnahme des Ersten Weltkriegs – bis 1927 bewirtschaftet. Damals hieß sie Bockegghütte. Danach kaufte der italienische Statt die Hütte und nutzte sie als Finanzwache. Die Militärbrigade Tridentina gab der Hütte den heutigen Namen Rifugio Tridentina. Nach teilweiser Zerstörung im 2. Weltkrieg gab es ein kurzes Intermezzo in den 50er Jahren, aber erst nach der Instandsetzung 1969/70 durch das italienische Heer wurde sie wieder dauerhaft genutzt. Vorerst zu militärischen Zwecken. 1975 wurde die Hütte von der Sektion Bruneck des italienischen Alpenvereins  übernommen und 1977 offiziell wiedereröffnet. Zusammen mit 24 weiteren vom Staat enteigneten Schutzhütten ging die Birnlückenhütte 1999 in das Eigentum der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol über. Die Konzession zu deren Führung durch den Italienischen Alpenverein (CAI) ist mittlerweile ausgelaufen und das Land Südtirol verwaltet die Hütte (Vergabe an Pächter, Überwachung der Führung, Sanierungsmaßnahmen), unterstützt durch eine paritätische Kommission, in der neben der öffentlichen Hand auch der Alpenverein Südtirol (AVS) und der CAI vertreten sind.

 

Etappe: Birnlückenhütte – Lausitzer Höhenweg – Krimmler-Tauern-Hütte (Neugersdorfer Hütte)

Schon bald nach der Pause auf dem sonnigen Platz vor der Hütte mussten wir uns von der malerisch gelegenen Birnlückenhütte losreißen. Der Webabschnitt bis zur Neugersdorfer Hütte, auch Krimmler-Tauern-Hütte genannt, würde herausfordernd werden, denn der Lausitzer Höhenweg liegt nicht nur oberhalb der Baumgrenze, sondern jenseits jeden Grüns. Hier oben gibt es nur Geröll und einen Pfad, der mitten hindurchführt. Die paar Kilometer bis zum nächsten Etappenziel, die mit dem Auge bemessen, ein Klacks zu sein scheinen, nötigen volle Konzentration und auch einiges an Kraft ab. Einige uns entgegen kommende bärtige Gesellen, die geradewegs über den Zillertaler hauptkamm aus Österreich herüber gekommen waren, schauten etwas besorgt drein, als sie uns zwei Mädels so alleine auf ausgesetztem Höhenweg sahen. Die Sorge war unbegründet. Wir setzten jeden Schritt auf dem tückisch ineinander verkeilten Geröll wohlüberlegt und behielten zudem die Uhr im Blick. Der Weg war trocken und gut markiert, sodass wir keine Schwierigkeiten hatten, ihm zu folgen und auch nicht Ausgleiten auf nassem Stein befürchten mussten. Alle naselang blieben wir kurz stehen, um das sich langsam verschiebende Bergpanorama gegenüber zu bewundern. Langsam aber sicher rückte die Birnlückenhütte aus dem Blickfeld und die Perspektive auf die  Dreiherrnspitze änderte sich.

 

Weitere Gipfel der Ahrn- Rieserfernergruppe rückten ins Bild, wie die ebenfalls mit Gletscher geschmückte Rötspitze. Schön, sie mal aus einem komplett anderen Blickwinkel zu erleben, als damals während meiner Almzeit im Röttal. Wir gelangten an einen Wegabschnitt der gefährlicher klingt, als er ist, die Teufelsstiege. Mit Geländer gesichert steigt man viele Holzstufen hinab, um sich die verlorenen Höhenmeter anschließend wieder hinauf zu mühen. Nach etlichen umrundeten Felsnasen und durchquerten Felskuhlen rückte die Krimmler-Tauern-Hütte (Neugersdorfer Hütte) wieder ins Blickfeld und nimmt an Größe zu.

Am Tiefpunkt dieses Wegabschnitts (gefühlt und geografisch), scheint ein Abstieg zur Oberen Tauernalm weitaus naheliegender, als nochmals Höhenmeter zu erklimmen, um zur weit oben liegenden Krimmler-Tauern-Hütte zu gelangen, von der es dann auf dem Tauernweg eh steil bergab zur Tauernalm geht. Diesen Exkurs machten wir nur gedanklich und schleppten uns die letzten Höhenmeter des Tages hinauf auf das kleine grasbewachsene Plateau, von dem die Neugersdorfer Hütte das Ahrntal überblickt. Was für eine Aussicht und was für ein Glücksgefühl, es geschafft zu haben.

Die Neugersdorfer Hütte (Rifugio Vetta d’Italia) ist ein ehemaliges Zollhaus. Die Sektion Lausitzhatte den Lausitzer Weg angelegt. Die den Lausitzern benachbarte Sektion Warnsdorf in Böhmen plante daraufhin den Bau einer Hütte an der Kreuzung des Weges mit dem Krimmler Tauernübergang, weil es vermehrt zu Unfällen durch plötzlichen Wetterwechsel gekommen war. Finanziert wurde das Projekt von Neugersdorfer Unternehmern, sowie der Gemeinde Neugersdorf in Sachsen. Die Hütte erhielt daher den Namen Neugersdorfer Hütte. Sie wurde von 1905 bis 1907 mit Hilfe der Einwohner des Ahrntales erbaut. Bis 1919 war die Hütte bewirtschaftet, nachdem Südtirol infolge des Vertrags von Saint-Germain Italien zugesprochen wurde, duldete man die Alpenvereinsarbeit und ihre Hütten zunächst. Da aber mit dem Aufkommen des Faschismus in Italien in den 1920er Jahren die deutschsprachige Bevölkerung und deren Kulturgut verdrängt werden sollte, wurde die Hütte enteignet und als Zollhaus genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Hütte geplündert und verfiel, bis sie 1984, umfassend saniert, von den italienischen Zollbehörden wieder genutzt wurde, um der regen Schmuggelwirtschaft begegnen zu können. Nachdem sie im Jahr 2000 der autonomen Provinz Südtirol überlassen worden war, forderte der Staat 2011 eine Rückgabe der Hütte, da sie nach wie vor von der Finanzwache gebraucht werde. Schade eigentlich, denn an diesem strategisch günstigen Punkt mitten auf dem Lausitzer Höhenweg und unterhalb eines Passweges nach Österreich, wäre eine bewirtschaftete Beghütte, in der man auch übernachten könnte, perfekt. Vllt. wird es ja noch.

Der früher viel genutzte Tauernweg führt oberhalb der Krimmler-Tauernhütte zum gleichnamigen Pass. Die Töchter meiner Wanderpartnerin hatten offensichtlich noch Energiereserven und waren kurz oben am Pass. Sie erzählten von Infotafeln, die das traurige Schicksal jüdischer Familien beschrieb, die versucht hatten, über diesen unwegsamen Ausweg der Verfolgung zu entfliehen. Und das teils mitten im Winter. Erwartungsgemäß gab es Todesopfer zu beklagen. Aber ein Tod in den Bergen in Freiheit ist vllt. immer noch besser als der noch sinnlosere Tod in einem unmenschlichen System.

Lange ruhen oder uns Gedanken über die Geschichte dieses Ortes machen konnten wir jedoch nicht. Es lag ein sehr steiler Abstieg und ein langer Rückweg nach Kasern vor uns.

 

Etappe: Krimmler-Tauern-Hütte (Neugersdorfer Hütte) – Obere Tauernalm – Untere Tauernalm – Kasern

Auf dem fast senkrecht nach unten führenden Tauernweg stiegen wir 500 Höhenmeter hinab bis zur Oberen Tauernalm. Hier kauften wir nur kurz Käse bevor es weiter bergab ins Ahrntal ging und auf dem Fahrweg zurück nach Kasern. Mittlerweile spürten wir unsere Füße und jede andere Faser im Körper deutlich. Erst jetzt wurde uns bewusst, dass wir knapp 30 km gewandert waren. Mein persönlicher Rekord seit Langem. Meine Mitwanderer waren so freundlich, mich nach St. Johann zu fahren und direkt am Quartier abzuliefern. Die letzten Höhenmeter von der Straße bis zum Haus wären eine Qual geworden…

Völlig knülle aber total beglückt kam ich ‚daheim‘ an. Diese Tour wird unvergessen bleben. Danke, liebe G. und Familie, dass ich mich anschließen durfte und für den gemeinsam verlebten herrlichen Wandertag!

veröffentlicht am: 10.02.2022

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