Die Wanderung zum Refugio Urriellu stand ganz oben auf meiner Wunschliste für den Wanderurlaub in den Picos de Europa, einem Kalkstein-Massiv innerhalb des Kantabrischen Gebirges im Norden Spaniens. Ich hatte zuvor wegen einer kleinen Fuß-OP keine Gelegenheit zum Trainieren und trotz diverser vorangegangener Touren mit bis zu 700 Metern Höhenunterschied, war ich mir nicht sicher, ob ich den beim Aufstieg an den Kragenrand des Picu Urriellu zu erklimmenden 1000 Höhenmetern gewachsen bin. Kriegt man nur raus, wenn man es versucht…
Unser Gastgeber empfahl mir, die Wanderung zum Refugio Urriellu auf ein Wochenende zu legen, da dann auch viele Einheimische unterwegs sind und man nicht Gefahr läuft, auf fast 2000 Höhenmetern ganz allein auf weiter Flur zu sein, was an sich nicht schlimm ist, aber im Notfall brenzlig. Im Endeffekt waren viel mehr Leute unterwegs, als mir lieb war, denn an diesem Tag fand ein Trailrennen statt und man musste alle paar Minuten zur Seite treten, um die flinkfüßigen Trailrunner mit ihren gelben Westen vorbeizulassen.
Etappe: Straße nach Sotres – Invernales de Texu
Ebenfalls wichtig war mir, jeden unnötigen Meter zu sparen. Deshalb ist es ideal, die Wanderung nicht im Ort Sotres, sondern in der Spitzkehre der dorthin führenden Straße zu beginnen. Oder aber die holprige Straße bis zum Wanderparkplatz hinauf zu schaukeln. Wenn man darf. Am Beginn dieses Fahrwegs stehen Leute vom Nationalpark und regulieren die Zufahrt. Solange Plätze auf dem Parkplatz und in diversen Parkbuchten vorhanden sind, werden Autos durchgelassen. Für Early Birds mit soliden Fahrzeugen eine feine Option.
Ich startete in der Spitzkehre der Straße nach Sotres, wo mein Herr Schatz mich absetzte. Nach kurzer Strecke erreichte ich Invernales de Texu, eine Ansammlung verfallener Gebäude, die das Gefühl eines verlassenen Dorfes vermitteln. Die Almsiedlung liegt im Talboden auf etwa 900 Metern südwestlich vom 160 Meter höher gelegenen Sotres. Ein Teil der Gebäude wird auch heute noch von Landwirten genutzt.
Etappe: Invernales de Texu – Collado Pandébano – RefugioTerenosa
Nun geht es stetig und steil bergauf und wenn man nach über einer Stunde, mit qualmenden Socken und weichen Knien, endlich am Collado Pandébano (1212 m) und dem wenige Meter weiter unten liegenden Wanderparkplatz ankommt, beneidet man alle, die dort loslaufen konnten. Der beim Wegweiser abzweigendende Wanderweg zur Vega führt sanft durch grüne Wiesen bis zum Refugio La Terenosa auf etwa 1300 m Höhe. Die kleine Berghütte ist ganzjährig geöffnet und bietet 20 Schlafplätze. Mit kalten Getränken, einem eigenen Brunnen und kleinen Gerichten ist La Terenosa willkommener Zwischenstopp, insbesondere, wenn man die Tour, wie im Wanderführer vorgeschlagen, im tief liegenden Bulnes beginnt.
Etappe: Refugio La Terenosa – Collau Valleju
Immer weiter zieht sich der Weg sanft bergan, schlängelt sich durch Seitentäler und zur rechten fasziniert der Blick hinunter Richtung Bulnes.
Plötzlich wechselt das vorherrschende Grün zu sattem Grau. Wenn neben dem grauen Himmel, graue Felsbrocken das Bild dominieren, hat man den Collau Valleju erreicht. Wenn der markante Gipfel des Picu Urriellu nicht in den Wolken steckt, wie während meiner Wanderung, soll man ihn von hier aus dessen Nordwand sehen können. Ich sah nur Dunst und kam mit jedem Schritt der tief hängenden Wolkendecke näher.
Etappe: Collau Valleju – Jou Lluengu – Refugio Picu Urriellu
Die letzten 400 m des Aufstiegs zur Hütte führen über den Canal del Valleju, Las Traviesas und den östlichen Rand des Jou Lluengu, mit steilem Aufstieg in Zickzack-Kurven. Gegenüber sieht man den Rand der steil und eng nach Bulnes hin abfallende Schlucht und einige Wagemutige, die sich vom Cambureru-Kanal hinauf kämpfen. Mir wäre dieser Weg selbst für den Abstieg zu ausgesetzt und steil. Puh.
Noch immer war vom Ziel der Reise, dem Gipfel des Naranjo de Bulnes nichts zu sehen. Nur kleine, im Dunst verschwindende Menschenpunkte oberhalb. Und dann, wie von Zauberhand materialisierte sich erst schmenhaft und dann in ganzer Pracht, der Gipfel des Picu Urriellu aus dem Nebel. Erst im Nachhinein habe ich festgestellt, dass ich eigentlich mit anderer Formgebung gerechnet hatte, aber in diesem Moment war mir der Berg aus jeder Perspektive recht. 🙂
Die Stimmen von der Hütte konnte man bereits hören, dennoch waren es immer noch paar Meter bis zu jener Stelle, an der man erleichtert das Refugio entdeckt und sich nach den letzten Schritten mit einer kalten Limo ins Gras sinken lassen kann.
Das heutige Gebäude des Refugio Picu Urriellu wurde in den Sommern und Herbstmonaten 1989-1990 errichtet. Der Transport der Materialien erfolgte mit einem „Chinouk“-Hubschrauber der Armee und anderen gemieteten Hubschraubern. Die neue Berghütte wurde am 14. Oktober 1990 eingeweiht. Die heutige Hütte hat noch die komplette Fassade der früheren.
Für den Bau der ersten Schutzhütte in der Vega de Urriellu wurde Stein aus der Vega selbst verwendet. Sie hatte zwei Stockwerke: Im oberen Stockwerk, zu dem man über eine fast senkrechte Eisentreppe gelangte, befand sich ein durchgehendes Etagenbett für neun Personen, das auf fünfzehn aufgestockt werden konnte, und im unteren Stockwerk gab es Holztische und -stühle, Regale zum Kochen und Klappkojen. Die Arbeiten begannen im Sommer 1953, der Zement und die Balken wurden auf Schultern von Puente Poncebos über Bulnes, Cambureru und Jou Lluengu getragen, wobei ein Höhenunterschied von 1700 m überwunden wurde. Bereits Ende September konnten die Hauptarbeiten abgeschlossen werden. Einweihung der 1. Hütte war am 5. August 1954, zeitgleich mit dem 50. Jahrestag der Erstbesteigung des Picu Urriellu. In den folgenden zehn Jahren wurde die Hütte zu klein, um die vielen Bergsteiger, die ihre Dienste in Anspruch nahmen, zu beherbergen, und es wurde beschlossen, sie zu erweitern.
Der Wanderweg, den ich erklommen hatte, wurde 1986 eröffnet. Davor gab es nur den steilen und ausgesetzten Zugang über Cambureru.
Ich hatte für den Aufstieg 4,5 Stunden benötigt und rechnete mir, während ich an meiner Limo schlürfte, den aus dieser Perspektive rundlichen Kegel des Picu Urriellu bewunderte und meine Mitwanderer beobachtete, aus, dass ich für den Rückweg 3 Stunden einplanen sollte und demzufolge 40 Minuten Zeit zum Rasten hatte. Die verbrachte ich in der Sonne und hielt die Füße still. Dann hieß es vom Objekt der Begierde Abschied nehmen und den Rückweg anzutreten, den vor mir eine Reihe andere Wanderer eingeschlagen hatten, sodass das ganze einem Zug Lemminge ähnelte.
Etappe: Refugio Picu Urriellu – Refugio La Terenosa – Collado Pandébano
Ich war beim Abstieg so darauf bedacht, sicher und zügig voran zukommen, dass ich versäumte, rechtzeitig zurückzuschauen und den Picu Urriellu zum Abschied nochmal aus der von Postkarten gewohnten Perspektive zu bestaunen. Als das Terrain etwas weniger steil und teils auch wieder grün war, gab es dennoch schöne Rückblicke. Ein spanischer Wanderer, der so freundlich war, ein Beweisfoto von mir zu machen, benannte den im Hintergrund sichtbaren Berg. Der Name war jedoch unaussprechlich, weshalb ich ihn den Berg mit dem unaussprechlichen Namen nenne.
Beim Refugio La Terenosa schien die Sonne einladend auf die Außenplätze. Leider war die Zeit für eine Erfrischung zu knapp bemessen. Ich wollte meinen Herr Schatz, der mich abholen wollte, nicht warten lassen, zumal man sich auch nicht telefonisch verständigen konnte.
Nachdem ich alsbald den Collado Pandébano erreicht hatte und einen letzten Blick zurück auf den Weg und den Berg mit dem unaussprechlichen Namen geworfen hatte, wappnete ich mich für die letzten Kilometer auf dem in der prallen Sonnen liegenden Fahrweg. Netterweise ergab es sich jedoch, dass ein französiches Ehepaar zeitglich mit mir an seinem Auto ankam und mir Mitfahrgelegenheit anboten. Ich war reichlich platt und nahm gerne an. Ich fuhr bis hinab nach Arenas mit, wo mein Herr Schatz mich einsammelte.
Was für ein herrlicher Tag am Kragenrand des berühmten Picu Urriellu aka Naranjo de Bulnes.
Quelle: turismoasturias.es
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