Etappe: Seddin – Kleiner und Grosser Lienewitzsee
Ungünstiger hätte keine Tour anfangen können. Zuerst musste ich auf meine geplante Wanderpartnerin verzichten. D. konnte leider erst ab 12 Uhr und das war mir an einem der kürzesten Tage des Jahres zu heikel. Daran ändert auch nichts, dass ich im Winter immer eine Stirnlampe im Rucksack habe. Also umgeplant und alleine losgezogen. Dass ich in der morgendlichen Eile den Schlüssel vergass, wusste ich noch nicht. Im Zug nach Seddin beschloss die Sohle meines linken Wanderschuhs, die Tour nicht mit zu gehen. Zum Glück hatte ich mein Messer dabei und konnte den leblosen Gummilappen vom Rest des Schuhs abtrennen. Die ersten beiden Kilometer ab Seddin lief ich wie ein Hanghuhn – eine Seite normal, die andere tiefer gelegt. Bis auch Sohle Nummer 2 bei den Lienewitzseen sich (und mich) hängen ließ. In dem Moment war mir das sogar ganz recht, hatte ich doch schon Hüftschmerzen wegen der Schieflage befürchtet. Im Sohle abtrennen hatte ich bereits Übung, aber diesmal musste das Profil den Rest der Strecke mitkommen. Im Rucksack, denn Müll wollte ich keinen hinterlassen.
Leider fungiert der näher am Wietkiekenberg gelegene Bahnhof Ferch-Lienewitz nicht mehr als solcher. Wie schon im Einleitungstext bemerkt, ist die Anbindung des südwestlichen Berlins an alles, was nicht Potsdam ist, mit der Deutschen Bahn sehr schlecht. So musste ich zwangsweise einen Weg finden, der mich ab Bahnhof Seddin dem Ziel nicht nur näher, sondern auch unter der Autobahn hindurch, bringt. Das ist aus Karten oft schlecht ersichtlich, weshalb ich mit Rechts-Schwenk von meinem anfangs eingeschlagenen, recht annehmbaren Bloß-weg-von-der-Straße-Kurs, auf den mit blauem Punkt markierten Weg, auf Nummer sicher ging.
Von der Autobahnunterführung ist es nur ein kurzes Stück auf Kopfsteinpflaster, bevor links der Weg zum Kleinen Lienewitzsee abzweigt. Nach Überqueren der Straße und Umrundung einiger Datschen, führt der Weg weiter ans Ufer des Großen Lienewitzsees, an dessen Schmalseite ein Sandstrand zu kurzer Pause einlud. Lässt man von hier den Blick in die bewaldete Ferne schweifen, sieht man als Kompassnadel für die nächste Etappe, bereits die Spitze des Aussichtsturms auf dem Wietkiekenberg über die Bäume lugen.
Etappe: Großer und Kleiner Lienewitzsee – Wietkiekenberg
Das ist also die vorgegebene Marschrichtung. Am rechten Ufer des Großen Lienewitzsees windet sich ein schmaler, wuzeliger Pfad, der sich gelegentlich versteckt, schöne glitzernde Ausblicke aufs Wasser des Großen Lienewitzsees gewährt und einfach Spaß macht. Der Kleine Lienewitzsee-Bruder schließt sich fast nahtlos an und wartet mit hübschem Uferweg und ins Wasser ragendem Baum auf. Noch aufrecht, aber deutlich vom Zahn der Zeit angenagt, ragt eine uralte Eiche direkt am Weg krakelig in den silbrig-blauen Himmel. Die paar Meter Umweg sollte man ruhig einlegen, bevor man den Uferhang erklimmt, die Schienen quert und langsam aber stetig zum Wietkiekenberg hinauf läuft. Offensichtlich ist der Wald beliebtes Mountainbike-Revier, so dass man weder am Seeufer (außer dem wilden Stück) noch beim Aufstieg vor vorbei zischenden neongelben Gestalten sicher ist. Der Wietkiekenberg ist die höchste Erhebung der Zauche, einer Hochfläche in Potsdam-Mittelmark.
Auf 124 Höhenmetern angekommen, gehts auf der Metallleiter noch weitere 22 Meter auf den Aussichtsturm hinauf. Ohne diesen wäre der Aufstieg deprimierend, denn der Baum-bestandene Wietkiekenberg (wiet kieken = weit gucken) bietet von selbst Null Aussicht. Höchstens auf ein deftiges Picknick an einem der aufgestellten überdachten Pausentische. Vom Turm, der genau genommen, eine mit Treppe umwickelte Antenne ist, reicht der Rundblick auf der Aussichtsplattform vom Schwielowsee über diverse Höhenzüge bis hin zu Teilen von Potsdam und – bei gutem Wetter, wie ich hörte – selbst bis zum Berliner Fernsehturm. Nach der Errichtung des neuen Masts inklusive Aussichtsplattform 2012, wurde der aus der DDR-Zeit stammende alte Feuerwachturm auf dem Wietkiekenberg abgerissen.
Etappe: Wietkiekenberg – Ferch
Dem grünen Punkt folgend gelangt man auf abschüssigen Wegen ins gar nicht mal so kleine Örtchen Ferch, das am südlichsten Zipfel des Schwielowsees liegt. In den Kriegsjahren 1942–1945 suchten viele Berliner in Ferch Unterschlupf vor den zunehmenden Luftangriffen und nach dem Krieg wuchs die Anwohnerzahl durch Zuwanderer stark an. 1992 wird das ehemalige FDGB-Heim „Pierre Semard“ abgerissen, das vor dem Krieg als Gaststätte „Kurhaus“ eines der Zentren des dörflichen Lebens war. Im Kurhaus stiegen u. a. Marika Rökk, Hans Albers, Harry Piel, Emil Jannings ab. In der historischen Ortsmitte von Ferch befindet sich in einem Schilfrohr-gedeckten Haus das Museum im Andenken an die hier gegründete Havelländischen Malerkolonie. 1878 wurde das Dorf von dem Maler Karl Hagemeister (1844–1933) entdeckt, der hier mit seinem Freund Carl Schuch (1846–1903) Motive für seine Landschaftsmalerei fand. Die liebliche Landschaft mit vielen Seen und Flüssen sowie die Nähe zu Potsdam und Berlin inspirierte im ausgehenden 19. Jahrhundert bald weitere Künstler. Seit der Eröffnung des Museums im Juli 2008 werden regelmäßig wechselnde Themen- bzw. Personalausstellungen der Künstler der Havelländischen Malerkolonie gezeigt. Ich hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, die Tour mit einem Museumsbesuch zu beenden, befand dann aber dass Tageszeit und Schuhsohle durchaus die paar Kilometer nach Petzow noch hergeben würden und verweilte stattdessen nur auf ein Brot an der Marina Ferch mit Blick auf den sachte vor sich hin schaukelnden Schwielowsee.
Etappe: Ferch – Petzow
Auf dem gut ausgebauten Fercher Uferweg, der sich bis ins benachbarte Schwielowsee zieht und Kinderwagen-tauglich ist, folgt man der Uferlinie so weit als möglich. Dann zweigt der rote Wanderweg nach links ab, aber ich hielt mich in Ufernähe, da ich von früher her den schönen Ufer-Pfad nach Petzow in Erinnerung hatte und laufen wollte. Dieser zweigt bei der ehemaligen Gaststätte und Pension ab, die offensichtlich nicht erst durch Corona zum Stillstand gekommen ist. Ein düsterer Ziegel-Rundturm an der rückseitigen Fassade verleiht dem Objekt mystisches Flair, während vornrum eine Satellitenschüssel sämtliche Illusionen zerstört. Oder weckt. Je nachdem. Der Uferpfad führt durch einen Laubwald und auf den letzten Metern parallel zur Straße, bevor man dieser in die Ruhe und Abgeschiedenheit des Petzower Schlossparks entkommen kann. An der Badestelle mit besetzter Pausenbank folgte ich dem kleinen Pfad durcchs Schilf auf die winzige Landzunge, um noch einmal ungestört das Auge über die Weite des Schwielowsees schweifen zu lassen. Einen allerletzten Blick auf den See erhaschte ich kurz darauf auf dem Dampferanlege-Steg, der das Endstück der an der nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel gebauten Kirche Petzow beginnenden Achse, die Dorfstraße runter und am Schloss vorbei, bildet.
Das einstmals den Herzögen von Sachsen-Wittenberg gehörende Dorf Petzow gelangte 1542 in Brandenburger Besitz. Der wohlhabendste Mann des Ortes, Gutsbesitzer und Amtsrat, ließ sich 1825 nach den Plänen von Karl Friedrich Schinkel ein repräsentatives Herrenhaus errichten, ein pittoreskes Bauwerk in einem bunten Mix von maurischem Kastell- und englischem Tudorstil. An diesem sonnengelben Bau mit seinen Ecktürmchen vorbei trottete ich die gepflaterte Straße hinauf. Am zwangs-oausierenden Fontane-Restaurant ergatterte ich im Straßenverkauf einen lauwarmen Glühwein. Ein Stück weiter die Hauptstraße hinauf Richtung Bushaltestelle passierte ich die Sanddorngärten Petzow. Bei einem früheren Besuch hatten wir dort bei Sanddornwein draußen in der Sonne gesessen, weshalb ich Hoffnung auf einen Sanddorn-Glühwein to-go hegte und hatte Glück. Mit einem lalb geleerten Becher Sanddornfeuer bewaffnet, konsultierte ich den Busfahrplan. Der Bus Richtung Werder war gerade weg, aber jener nach Potsdam sollte in wenigen Minuten kommen. Übrigens gibt es für Schnell-heim-woller einen Fußweg vor zur B1, wo häufiger Busse nach Potsdam fahren. Mir war der am See entlang gerade recht, kann man doch in Ruhe nochmal einige abgewanderten Etappen nachvollziehen. Ein Problem gab es dennoch. Der Sanddornglühwein musste unauffällig mit an Bord. Der nächste Bus würde erst in 2 Stunden kommen, falls überhaupt. Ich versenkte den Pappbecher in der Thermohülle der Trinkflasche im Rucksack und leerte ihn an über mehrere Haltestellen verteilt, um Verschüttgefahr (und Ärger mit dem griesgrämigen Busfahrer) auszuschließen.
Von Potsdam ging es mit dem RB22 verhältnismäßig rasch in heimische Gefilde. Nun merkte ich auch, dass der Schlüssel nicht im Rucksack war und kam so in den Genuss einiger netter Stunden mit der Nachbarin. Danke für’s Aufnehmen!
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